Warum Slow Sewing glücklich macht

Slow Sewing

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Von Fast Fashion zu Slow Fashion

Alles mal ein bisschen langsamer angehen. Das ist nicht nur eine Devise, die sich seit einiger Zeit immer mehr in Lifestyle-Trends wie Achtsamkeit und Slow Food wiederfinden lässt, sondern auch beim Thema Fast Fashion vs. Slow Fashion eine Rolle spielt. Fast Fashion bezeichnet die schneller werdende Modeindustrie, die mittlerweile bis zu 12 Kollektionen im Jahr auf den Markt bringt. So wird der Anreiz geschaffen, immer die neuste und aktuellste Mode zu kaufen. Slow Fashion ist der Gegenentwurf dazu und spricht sich für Konzepte aus, die Mode zu entschleunigen, weniger zu kaufen, umweltbewusster und nachhaltiger zu denken und Produktionsprozesse transparenter zu gestalten.

Fast Sewing vs. Slow Sewing?

Dass Fast Fashion auch etwas mit Nähen zu tun haben kann, habe ich in den vergangenen Jahren selber gemerkt. Als ich anfing, Kleidung zu nähen, war das Handwerk etwas ganz Neues für mich. Die vielen Möglichkeiten, Schnittmuster und Stoffe, die geboten wurden, haben mich begeistert. Ich habe wirklich viel genäht, ohne dabei langfristig zu denken oder zu überlegen, ob und wie ich die Sachen kombinieren könnte. Ich habe einfach genäht, weil ich Spaß daran hatte, neue Klamotten zu nähen und sie auf meinem Blog zu präsentieren. Dabei habe ich vor allem schnelle Projekte gewählt, da ich so in kurzer Zeit mehr Content auf dem Blog veröffentlichen konnte. Slow Sewing war für mich ein Weg, aus dieser Spirale wieder rauszukommen und bewusster über mein Nähverhalten nachzudenken.

Slow Sewing

Slow Sewing hat viele Facetten

Bei dem Begriff Slow Sewing kommen sofort verschiedene Assoziationen auf. Der Begriff ist sehr vielfältig und kann sich beispielsweise nicht nur auf den Nähprozess selbst beziehen, sondern auch darauf, fair, nachhaltig, regional oder sozial zu denken. Einige Aspekte, auf die man daher bei Slow Sewing achten kann, sind Biostoffe, fair oder in Deutschland produzierten Stoffe und Materialien zu kaufen, Stoffreste für andere Projekte zu nutzen und bereits beim Zuschnitt darauf zu achten, möglichst wenig Stoffreste zu produzieren. Weniger zu konsumieren – auch beim Selbermachen – und sich Gedanken zu machen, was man wirklich in seinem Kleiderschrank haben möchte und anziehen wird. Alte Kleidung upzucyclen und auch selbstgenähte Kleidung zu recyclen, wenn sie nicht mehr gefällt, oder aber an andere weitergeben, die Verwendung dafür haben.

Was Slow Sewing für mich bedeutet

Schon länger kann ich beobachten, dass ich aufwändige Projekte mit größerem Enthusiasmus angehe als schnelle Projekte. Bei meinem Trenchcoat, den ich vor kurzem genäht habe, hatte ich plötzlich besonders deutlich das Gefühl, dass mich Slow Sewing überraschend glücklich macht. Für den Mantel musste ich 15m Schrägband selber zuschneiden, bügeln und alle Schnittteile damit versäubern. Für einen kurzen Moment dachte ich daran, es einfach zu lassen und die Nähte mit der Overlock zu versäubern. Aber ich wollte unbedingt diese schön versäuberten Kanten haben, weswegen ich mich etwas widerwillig dem Projekt widmete. Überraschenderweise machte es mir total viel Freude, das Schrägband vorzubereiten und die Teile damit zu versäubern. Ich hatte nicht mehr den Fokus darauf, die Jacke möglichst schnell fertig zu machen. Ich gab mich total dem Prozess hin, der mich zu einem schönen Produkt führt, mit dem ich zufrieden bin.

In manchen Punkten bringt Nähen das ‚langsam‘ schon von selbst mit. Bevor ich mit einem Projekt starte, fließt ein Menge Zeit in Brainstorming, Planung, Schnittrecherche, Materialbeschaffung etc. Dazu kommt die Vorbereitung des Schnittes und der Stoffzuschnitt. Sich aber für jeden Schritt bewusst viel Zeit zu nehmen und vor allem das Nähen selber nicht hektisch anzugehen, ist für mich vor allem Slow Sewing.

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Wie geht Bloggen und Nachhaltigkeit zusammen?

Wie bereits angesprochen, ist man als Nähblogger durchaus einem Dilemma ausgesetzt, wenn man sich mit dem Thema Slow Sewing auseinandersetzt. Die Frage ist: Wie schaffe ich es, meinen Lesern immer neue Kleidung und Inspiration zu zeigen, aber trotzdem weniger zu konsumieren – schlussendlich weniger oder bewusster zu nähen? Ich habe mir mittlerweile angewöhnt, weniger Kleidung zu nähen als noch vor ein paar Jahren. Dafür aber ordentlicher zu sein, mehr auf die Qualität zu achten und den Druck rauszunehmen, immer irgendwas neues Genähtes zeigen zu müssen. Auch aus verschiedenen Probenähen auszusteigen und nur noch das zu nähen, wozu ich wirklich Lust habe und was mir gefällt. Statt jede Woche zwei oder drei neue Kleidungsstücke zu zeigen, nehme ich euch lieber mit auf den Weg zum fertigen Kleidungsstück. Ich zeige euch den Prozess bei Instagram, wie so eine Hose, ein Rock oder Shirt eigentlich entsteht und versuche das Selbermachen und den Prozess dahinter tatsächlich richtig zu zelebrieren.

Den Prozess und das Handwerk wertschätzen lernen

Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass Nähen eine der ältesten handwerklichen Tätigkeiten ist? Bis Mitte des 19. Jahrhunderts nähte man sogar ausschließlich per Hand, bis schließlich die ersten Nähmaschinen entwickelt wurden. Ein so altes Handwerk zu beherrschen und auszuführen macht mich manchmal fast ehrfürchtig. Ich empfinde es als so wunderbar und großartig, aus Stoff Kleidung herzustellen, die man anziehen und mit der man sich ausdrücken kann. Die ein Gefühl auslösen oder die Art und Weise, wie uns andere wahrnehmen, beeinflussen kann. Ich persönlich will beim Nähen dieses besondere Handwerk kennenlernen und wertschätzen. Ich will Techniken und Kniffe lernen, die sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt haben. All das verbinde ich mit dem Prozess zu einem fertigen Kleidungsstück. Sich ab und zu bewusst zu machen, wie großartig dieses Handwerk ist, ist für mich ein sehr glücklicher Moment des Slow Sewing.

Slow Sewing

Ich lerne meine Kleidung kennen – und lieben

Ein vorerst letzter Punkt soll der Gedanke sein, dass uns Slow Sewing unserer Kleidung näher bringen kann. Wenn ich bei einem Mantel 15m Schräband angenäht habe und etliche Stunden mit dem Nähen verbracht habe, lerne ich mein Kleidungsstück nicht nur kennen, sondern vor allem wertschätzen. Es ist kein Wunder, dass Fast Fashion so ein großes Thema ist, wenn ein Pullover 10€ kostet und ich keinerlei Ahnung von der Produktion habe. Selbermachen heißt gleichzeitig zu verstehen und Zeit zu investieren, die dazu führt, dass ich meine Kleidung womöglich besser pflege und mehr wertschätze.

Die Schlussgedanken

Die Nähszene kann sich natürlich absolut nicht freisprechen von Schittmuster- oder Stofftrends, die plötzlich jeder haben will. Und auch ich würde nicht von mir behaupten, dass ich nur das nähen würde, was ich tatsächlich brauche. Oder keinen zu vollen Kleiderschrank besitze. Dafür ist Nähen für mich zu viel Hobby, zu viel Leidenschaft, als dass ich es nur als Mittel zum Zweck der Klamottenbeschaffung betrachten würde. Aber zu merken, wie gut es mir tut, mein Nähverhalten zu verändern, Zeit in ein Projekt zu stecken und das Handwerk nähen zu erkunden, macht mich einfach nur glücklich. Und vielleicht könnt ihr an irgendeinem Punkt ja Slow Sewing auch für euch entdecken.

Wie steht ihr zu dem Thema? Welche Aspekte interessieren euch besonders und was bedeutet Slow Sewing für euch?

 

 

Fredi Seemannsgarn handmade

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6 Antworten

  1. Hallo Fredi,

    Den Prozess, den du beschreibst, habe ich genauso auch durchgemacht. Inzwischen nähe ich weniger und deutlich geplanter, bei Stoffdesigns lasse ich mich nicht mehr mitreißen, nur weil sie plötzlich überall simd, denn ganz ehrlich, ausser Streifen gibt es nur wenige Muster, die ich gerne trage. Und ein Kleidungsstück, das ich wirklich sauber genäht und gut angepasst habe trage ich am Ende deutlich lieber.
    Ich mag deinen Ansatz, lieber mehr über den Entstehungsprozess zu schreiben. Viele Nähblogger werfen drei Teile die Woche auf den Blog, aus Probenähen und Stoffsponsorings, und das meiste davon verkaufen/verschenken sie nach der Fotosession. Für mich ist das weder glaubwürdig noch nachhaltig. Auch der Stoff muss hergestellt werden und das Einzige, was wirklich nachhaltig Resourcen spart, ist, wenn wir alle weniger konsumieren.

    Liebe Grüße
    Miriam

  2. Hallo Fredi, ich freue mich, dass ich mit meiner Einstellung zum Nähen nicht ganz alleine bin. Ich nähe seit vielen Jahren und bin bei der Auswahl der Projekte und Stoffe sehr wählerisch. Manchmal dauert es ziemlich lange, bis ich ein Stück fertig habe. Aber letztendlich ist es meins. Ein Einzelstück. Und ich freue mich jedesmal darüber es anzuziehen. Oder es zu verschenken. Manche Stücke habe ich schon über 30 Jahre im Schrank. Und weil ich sie so liebe, und Mode ist, was ich gut finde, trage ich sie immer noch gerne. (Habe allerdings nie überschnittene Schultern gemocht). Ich lese gerne deine Beiträge und kann dich nur ermuntern so weiter zu machen.Nachhaltigkeit ist so wichtig. Leider machen sich viel zu wenig Menschen Gedanken darüber, was wir unseren Kindern und Enkeln antun, wenn wir immer nur wie blöd konsumieren. Nähen macht glücklich und ist gesund. In diesem Sinne: alles Gute!

  3. Ich glaube jeder näht anfangs viel und schnell um rasch ein Erfolgserlebnis zu haben. So muss ich mich manchmal amüsieren wenn ich Anfangswerke anschaue und dann echt unsinnige Abkürzungen sehe. Mit der Zeit wird man dann einfacher Bedachter und näht weniger und eher was dann tatsächlich getragen wird.

    Ich bekenne mich durchaus des Schnell Nähens schuldig (1 Monat 7 Kleidungsstücke mein Rekord), aber ich genieße es in Ruhe und mit Bedacht an etwas zu arbeiten. Sich wirklich mit viel Zeit dranzusetzten und eben vielleicht auch aufwendigere Verarbeitungstechniken zu werden oder mal was mit der Hand zu nähen.
    Hin und wieder brauche ich dann aber doch schnell fertig werdende Projekte.

    Aber ich muss zustimmen, wenn bei manchen Bloggern jede Woche ein neues Outfit oder ein neuer Schnitt in dreifacher Ausführung präsentiert wird, wundere ich mich nur, wann das alles getragen werden soll.

    Lg Sabine

  4. Hallo Fredi,

    Ein wirklich interessantes Thema. Als ich vor 6 Jahren mit dem Nähen angefangen habe, habe ich Massen an Stoffen und Schnittmustern gehortet. Niemals konnte ich alles vernähen. Irgendwann wurde ich damit nicht mehr glücklich – in Gegenteil, je mehr Stoff ich zu Hause hatte umso frustrierter wurde ich, wusste ich doch innerlich, dass ich gar nicht so viel Zeit habe um alles abzuarbeiten. Heute kaufe ich Stoff nur noch projektbezogen. Zudem hängt mein Herz an den aufwendigeren Projekten, auch gerne an solchen, die mich vor neuen Herausforderungen stellen. Außerdem bin ich sehr selbstkritisch mit meiner Arbeit bzw. mit meinen Nähten. Da kann es dann halt auch mal sein, dass ich an einer Jacke zwei Monate arbeite. Dafür aber liebe ich jedes einzelne Stück und trage es voller Stolz.

    LG Kathleen

  5. Liebe Fredi,
    das kann ich so nur unterschreiben. Besonders in meiner Anfangszeit hat es mich unglaublich beflügelt, ein Teil nach dem anderen fertig zu bekommen. Dementsprechend hat natürlich die Qualität ganz schön gelitten, aber mittlerweile sehe ich das genauso wie du – lieber etwas mehr Zeit investieren, nicht nur beim Nähen selbst, sondern auch bei Schnitt- und Stoffwahl.
    Und das beste ist, finde ich, dass man sich durch den Fokus auf Qualität statt Quantität auch neue Techniken (z.B. Französische Säume etc.) aneignen und somit auch nähtechnisch weiterentwickeln kann. Vom professionelleren Ergebnis und weniger ungetragenen Teilen mal ganz abgesehen 🙂
    Dir einen schönen Sonntag!
    Liebe Grüße
    Nicole

  6. Liebe Fredi,
    danke für diesen Beitrag! Das fällt mir in der Nähszene seit einiger Zeit auch vermehrt auf – möglichst viele Klamotten möglichst schnell nähen scheint bei vielen Leuten das zu sein, was sie glücklich macht. Ich nähe selbst erst seit ungefähr Anfang diesen Jahres Kleidung, nachdem ich verschiedene Blogs, unter anderem deinen, lange Zeit mit ein wenig Neid gelesen habe. Selber nähen ist toll und Kleidung so gestalten zu können, wie man sie haben möchte und – in meinem Fall von über 1,80m – lang genug nähen zu können, dass sie passt, ist noch toller. Aber ich bin ganz froh, zu einem Punkt ins Selbermachene eingestiegen zu sein, an dem es schon Artikel über Fast Fashion beim Nähen gab und an dem ich selbst schon sicher genug war, was ich brauche und was ich nicht will. Nämlich einen Kleiderschrank voll mit Sachen, die ich nicht anziehe – und ein riesiges Stofflager, das ich im Leben nicht vernähen werde. Ich lerne auch gerade, dass ich für gewisse Dinge in der Verarbeitung einfach Zeit brauche. Da kommt ein bisschen Perfektionismus durch, weil ich möchte, dass meine Kleidung irgendwann den Touch vom Selbstgemachten verlieren und hochwertig verarbeitet sind. Das ist auch Slow Fashion, finde ich, hochwertig zu verarbeiten, lieber eine französische Naht mehr als unschöne, fransige Kanten (ohne Overlock bleibt einem auch nicht viel übrig, finde ich) und dann Freude am Endergebnis. Ich fand da eine der letzten Folgen von Love To Sew sehr interessant – die Folge mit Brooks Ann, die Hochzeitskleider als Einzelstücke macht und in der Folge auch viel über ihren Nähprozess erzählt, bei dem sie ständig mit der Hand heftet und anpasst, bis es wirklich passt, bevor sie an die Maschine geht. Dafür fehlt mir – noch – die Geduld, aber das möchte ich auf jeden Fall auch mal ausprobieren.
    Viele Grüße!
    Rosinante

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